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Ob digital oder auf Papier – jeden Tag flattern Nachrichten ins Haus. Das Material Zeitung ist ein Symbol dafür, aber auch eines für die Zeit an sich: Schon am nächsten Tag sind die News nur noch Altpapier. Die herrschende Lage in der Welt weckt das Bedürfnis zu heilen. Vom 21. März bis 6. Juni 2025 bespiele ich die Galerie Textilaltro in Rapperswil SG mit bestickten Werken aus Zeitungspapier sowie mit weiteren Arbeiten.
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Die vielen Nachrichten, die wir jeden Tag bewältigen müssen, überfordern uns oft. Wie gehen wir damit um? Manchmal lesen wir nur die Schlagzeile oder überfliegt eine Zeitungsseite, manchmal gehen wir den ganzen Artikel und vertiefen uns in das Thema. Die Installation zeigt die Fülle, der wir ausgesetzt sind.
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Indem ich Zeitungen mit dem Maschinenstopfstich «überwiefle», be- und verarbeite ich die Schlagzeilen. Den sieben Energiezentren des Körpers, den Chakren werden bestimmte Farben zugewiesen. Die Arbeiten «wer flickt die welt» beziehen sich auf drei davon: Rot auf das Wurzelchakra, Grün auf das Herzchakra und blau (indigo) auf das Zentrum des Dritten Auges (Stirn). Sowohl Wiefeln (Stopfen) als auch die Arbeit mit den Chakren «heilen».
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Anfangs der 1980er provozierten japanische Modeschöpfer wie Rei Kawakubo mit zerfetzten und löchrigen Kleidern, mit einer «Ästhetik der Armut». Damit widersprachen sie den herrschenden Schönheitsidealen, kritisierten den abgehobenen Modebetrieb und wollten authentische Geschichten erzählen. Heute trägt jeder löchrige, abgetragene Jeans. Allerdings wurden diese «Spuren der Zeit» in aufwändigen und ökologisch fragwürdigen Verfahren künstlich hergestellt. Die Fotos zeigen «echte» Jeanslöcher. Trotzdem geht es auch in diesen Bildern um real or fake: Was ist real, was nur Teil der Fotografie?
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Sashiko ist eine japanische Sticktechnik, mit der man schadhafte Stellen ausbessert oder auch verschiedene Stofflagen zum wärmenden Quilt zusammenfügt. Eigentlich sind es einfache Vorstiche, die aber kunstvoll übereinandergelegt charakteristische Muster ergeben. Sashiko beinhaltet auch spirituelle Werte. Die Technik gilt als heilend.
Zeitungsausschnitte mit Nachrichten über Gewalt wurden gesammelt, rot bemalt und als Referenz zum Sashikostich mit Vorstichen überstickt. Rot ist die Farbe von Krieg und Aggression, aber auch von der Liebe. Der Sashikostich «heilt» die Gewalt und transformiert sie in Liebe.
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Kintsugi ist eine japanische Reparaturmethode, bei der zerbrochene Keramik- oder Porzellanscherben mit der Urushikittmasse geklebt und ergänzt werden. Oft wird die Kittmasse Gold-, Silber oder Platinpulver beigemischt. Die Schäden werden nicht versteckt, sondern betont – das «geheilte» Stück erscheint in einer neuen Ästhetik.
Unsere Erinnerung besteht aus privaten und historischen Scherben. Wir setzen sie so zusammen, dass wir mit unserer Vergangenheit fertig werden. Wenn wir uns nur auf das Problematisch und Negative beschränkten, wären wir nicht mehr in der Lage, unser gegenwärtiges und zukünftiges Leben zu bewältigen. Also müssen wir unsere Erinnerungen «schönen». Wie weit dürfen wir dabei gehen?
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Wieviel Freiheit ist möglich? Eine Frage, die in unserer Zeit immer drängender wird. Die Demokratie ist in Gefahr, ein Teil der Bevölkerung überlegt sich, die Verantwortung an Populisten abzugeben. Die Fäden in diesen Arbeiten sind nur stellenweise eingebunden und dürfen sich im Übrigen bewegen, wie sie möchten. Bestimmte Strukturen sind notwendig: Ein Untergewebe gibt Halt, die Zwirnung gibt den Fäden eine bestimmte Bewegungsrichtung. Wieviel Freiheit kann ich meinen Fäden geben, so dass das Gewebe nicht auseinanderfällt?
Text: Christine Läubli
Fotos: Urs Müller
Alles hat seine zeit
21. März bis 6. Juni 2025
OST – Ostschweizer Fachhochschule
Galerie Textilaltro
Gebäude 5, 1. Stock (in der Bibliothek)
Oberseestrasse 10
CH-8640 Rapperswil
T +41 (0)58 257 45 30
Vernissage: Donnerstag, 20. März 2025, 17.30 Uhr
Begrüssung: Beatrice Keller, Leiterin Bibliothek und Galerie
Einführung durch Prof. Dr. Marion Strunk, Künstlerin und Kunsttheoretikerin, Zürich
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8.30 bis 17.30 Uhr
Feiertage geschlossen
Samstagsöffnung: 10. Mai 2025, 10 bis 15 Uhr
Finissage: Freitag, 6. Juni, 16 Uhr
Die Künstlerin ist anwesend: 20. März, 10. Mai, 6. Juni oder nach Vereinbarung.
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