top of page

denudare feminas vestis: 32. Miniartextil Como


Blick in die Ausstellung (Foto: Carlo Pozzoni)

Das diesjährige Thema «denudare feminas vestis» der Miniartextil stammt aus einem Text Plinius des Älteren. Als englische Übersetzung formulieren die Organisatoren: «Naked women by dressing them»; deutsch: «Nackte Frauen durch Bekleiden» oder noch freier übersetzt: «Das Kleid lässt Licht durchschimmern, so dass das Verborgene der Frau zu erahnen ist». Das Thema irritiert und stellt Fragen. Fällt es aus der Zeit? Oder ist es in der Ära von «me too» aktueller denn je? Dies herauszuschälen war die knifflige Aufgabe der angesprochenen Textilkunstschaffenden aus aller Welt.








Jorgelina Alesandrelli: «THE WEIGHT OF HIS EYES»

Wie gewohnt wählte die Jury 54 der eingegangenen Arbeiten aus. Zurzeit sind sie zusammen mit den grossformatigen Werken von fünf eingeladenen Kunstschaffenden in der Ex-Chiesa di San Pietro in Atrio im Herzen von Como zu sehen. Dem Thema entsprechend sind viele Schichten, Lagen oder transparente Elemente auszumachen. Auch das weibliche Leben wird von verschiedenen Seiten beleuchtet. So bestickte Jorgelina Alesandrelli (Argentinien) ein Kleid mit grossen Augen. Damit bezieht sie sich auf die Blicke, die jede Frau kennt: anzüglich oder bewundernd jene der Männer, unbarmherzig kritisch jene der Frauen.


Marzia Devoto: “LE PELLE CHE ABITO”

Mehrere Werke handeln von der Verletzlichkeit der Frau. Marzia Devoto (Italien) hat in einem aufwändigen Verfahren eine Weste aus Ton und Gaze modelliert und damit ein Bild für die fragile Haut gefunden, die wir bewohnen. Victoria Diaz Saravia (Argentinien) befestigt eine beschädigte Leinengaze in einem Metallgestell – eine einfache, aber berührende Arbeit. Auch das Werk von Beatrice Lot (Frankreich) hängt in einem Rahmen; die Künstlerin strickte aus Kupferdraht einen fragilen Frauenkörper. Silvia Bellu (Italien) überzog einen Zementblock mit einem Strumpf voller Fallmaschen. Der massive Stein hat das leichte Textil zerrissen – ein überzeugendes Bild für (männliche?) Gewalt.


Gabriela Brugger: «PRESENT FOR WILLENDORF VENUS” (Foto: Gabriela Brugger)

Fünf Werke stammen von Künstlerinnen aus der Schweiz. Gabriela Brugger hat eine Hommage an die Venus von Willendorf gestaltet. Spitze Stecknadeln halten ein Gebilde zusammen, das entfernt an die 30'000 Jahre alte Skulptur erinnert. Es besteht aus Stoffen, Samen und einer Pulpe aus erotischen Magazinen. Was damals wohl die Figurine einer Göttin war, ist heute ein aus verschiedensten Elementen zusammen gepuzzeltes Frauenbild. Wo liegt das Göttliche?


Ursula Gerber Senger: REVEALED AND ENVELOPED” (Foto: Ursula Gerber Senger)

Ursula Gerber Senger faltet ein durch Oxydation rot gefärbtes Kupfergewebe zu einem Kleid und wirft es hin, als hätte es die Frau gerade ausgezogen. Wen und was hat ein Kleid wie dieses verhüllt, was wurde während und nach dem Ausziehen offenbart? Welche Geschichten könnte es erzählen?















Florence Jaquet: «THREE GRACES” (Foto: Florence Jaquet)

«Die drei Grazien» heisst das Werk von Florence Jaquet. Die Skulpturen aus gefältelten, unterschiedlichen Stoffqualitäten erinnern an die Plissé-Mode der altgriechischen Zeit, die mit der Transparenz, also – wie von Plinius beschrieben – mit Ver- und Enthüllen spielte, und lassen die abbildeten Formen noch erahnen.













Valeria Melodia Boisco: “INVISIBLE DRESS” (Foto: Valeria Melodia Boisco, www.valeriaboisco.com, copyright ©. all right reserved.)

Kunstwerke aus Tampons vermögen zwar niemanden mehr zu provozieren. Jene von Valeria Melodia Boisco sind aber besonders liebevoll gestaltet. Jeder Tampon ist auf andere Weise bekleidet. Normalerweise umhüllt der weibliche Körper die kleinen Dinger vollständig, hier lässt das Textile den Blick auf das Objekt noch zu. Wie kleine Amulette liegen die Tampons da und werfen einen anderen Blick auf einen Zustand, den viele Frauen wohl meist eher als lästig denn als glücksbringend empfinden.

Christine Läubli: «SENSITIVE DATA»

Meine eigene Arbeit bezieht sich auf die Frage, was ich von meiner Person zeigen möchte. Das kleine Seidenorganza-Hemd ist mit einer Art Schrift bestickt, welche die Geschichten symbolisiert, mit denen ich nach aussen gehe. Das hautfarbene Momigami-Papier darunter ist mit Begriffen personenbezogener sensibler Daten beschrieben, die man für sich behalten darf, wie zum Beispiel Rasse, Religion, Gesundheit, sexuelle Orientierung. Im Werk ist es aber genau umgekehrt: Im Gegensatz zu dem, was ich offen zu legen bereit bin, sind die Daten zwar etwas versteckt, aber lesbar. Ein Bild für das Dilemma, in dem wir bezüglich unserer Daten stecken.





Antonella de Nisco: «BACOBOSCO» (2023; Foto: Carlo Pozzoni)

Von den grossformatigen Werken überzeugt «Bacobosco» von Antonella de Nisco (Italien). Sie hat von Hand fünf transparente Stelen geflochten, die auch als Frauenkleider gesehen werden können. Man denkt aber auch an Bäume oder Cocons, womit die Skulptur an die Seidenraupen erinnert, die früher für Como sehr wichtig waren.

Die anderen eingeladenen Gäste sind: Brankica Zilovic (Serbien), Kimiyasu Kato (Japan), Medhat Shafik (Italien, Ägypten), Anne von Freyburg (Holland, Grossbritannien), Moffat Takadiwa (Zimbabwe), Yari Miele, Donatella Simonetti, Alessandro Lupi (alle Italien)


Silvia Bellu: FEMME

Was würde wohl Plinius der Ältere denken, wenn er in Como in einem Strassencafé sässe? Weder bei den arabischen noch bei den westlichen Touristinnen könnte er «den Frauenköper erahnen»: Die ersteren sind zu verhüllt, die letzteren zu unverhüllt. Vielleicht würde er sich aber an jenen Werken in der Miniartextil-Ausstellung freuen, die ein Geheimnis ausstrahlen, hinter dem er etwas erahnen könnte ...






Text: Christine Läubli

Fotos, falls nicht anders angegeben: Christine Läubli Die Fotos von Carlo Pozzoni wurde mir von den Organisatoren der Miniartextil zur Verfügung gestellt, Abb. 4-7 von den entsprechenden Schweizer Künstlerinnen. Vielen Dank!


Informationen: Miniartextil 2023, denudare feminas vestis Ex-Chiesa San Pietro in Atrio Via Odescalchi 8, Como, Italien Öffnungszeiten: 11 – 19 Uhr, Eintritt Euro 7 Die Ausstellung dauert bis am 3. September 2023


Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

 
 
 

Commentaires


bottom of page