
Vom 29. März bis zum 20. Juli 2025 ist im Museum Kloster-Muri die 1. Staffel der Ausstellung «Luxese – Textilkunst zwischen Luxus und Askese» zu sehen. Während Luxus früher nur bestimmten Schichten zugänglich war, können sich heute – zumindest im reichen Westen – breite Bevölkerungsschichten fast alles leisten. Doch des Überflusses müde und im Wissen um fragwürdige ökologische und globale Zusammenhänge sowie Ressourcenknappheit fragen sich viele Menschen, was denn der wahre Luxus sei. Der Begriff «Askese» besteht aus den beiden Wörtern «Luxus» und «Askese». Neu im Duden eingetragen umschreibt er die Suche nach einer Lebensart, die Luxus und Einfachheit verbindet.
Die Kuratorinnen Irene Brühwiler, Marianna Gostner und Christine Läubli haben sich zusammen mit von ihnen eingeladenen Kunstschaffenden mit dem Thema Luxese auseinandergesetzt. Die Werke sind im Besucherzentrum, dem Äbtekeller des Museums Kloster Muri sowie in den Räumen des Singisenforums im 1. Stock ausgestellt.

Heidi Arnold macht die Luxese als ambivalentes Phänomen sichtbar. Zwei üppig mit Magnetbändern umwickelte Teile fügen sich so zueinander, dass sich zwischen ihnen ein dunkler Spalt bildet. Während die Bänder eine unregelmässige, reflektierende Oberfläche formen, glänzt der Spalt durch Abwesenheit und zieht in die Leere. Liegt der Luxus in den zahlreichen Lichtreflexionen, die das Objekt schillern lassen und den Magnetbändern einen aussergewöhnlichen Charakter verleihen? Oder liegt er – gerade umgekehrt – in seinem Negativ, das auf Glanz und Formenreichtum verzichtet und als reduzierte, schwarze Raumlinie erscheint? Das Objekt macht dazu keine eindeutige Aussage, sondern spiegelt die beiden Pole von Luxus und Askese und zeigt vielleicht, dass sie nur in Abhängigkeit voneinander bestehen. Magnetbänder sind eine gute Metapher für die Luxese. Sie sind schlicht und unspektakulär, und doch enthalten sie viel mehr, als die Oberfläche preisgibt. Viele der darauf gespeicherten Filme zeigen den Glamour vergangener Zeiten. Mit der Videokassette hielt der Luxus Einzug, Filme auch zu Hause, bequem vom Sofa aus, anschauen zu können. (www.heidiarnold.ch)

In der Wallfahrtskirche St.Peter am Perlach in Augsburg befindet sich das Gemälde «Die Mondsichelmadonna» von Johann Georg Melchior Schmidtner (um 1700). Das barocke Gnadenbild zeigt die Madonna, wie sie, auf einer Mondsichel stehend, Knoten in einem langen weißen Band auflöst.
Im wirren Knäuel des Lebens steckt manch Schreckliches, oft ein stilles Grauen, zu viel der Gräuel. Da sind Versuchungen, Irrungen und Wirrungen, Schuld und Entfremdungen von sich und den Mitmenschen, ebenso von der Natur. Der Ausweg liegt im Chaos selbst: Ein Ende des Fadens finden – und schon zeigt sich Hoffnung auf Auflösung und Erlösung. Statt den gordischen Knoten wie Alexander der Grosse mit einem Schwerthieb durchzuhauen und das Seil durchzutrennen, sind Güte, Geduld und Demut gefordert, symbolisiert durch die Lichtgestalt Marias. Der schwierige Weg führt zur Einfachheit und zum Licht, lateinisch lux. Dort liegt der wahre Luxus. (Instagram: @maya_burgdorfer)

Die gezeigten Hemdärmel stammen aus dem Textilabfall einer Änderungsschneiderei, in der Silvie Noemi Demont selbst als Schneiderin gearbeitet hat. ArmLos setzt sich zum einen mit den Unmengen an Gütern und Textilabfällen auseinander, die bei Fast-Fashion anfallen, zum anderen mit dem Beruf der Schneider*innen und den Problematiken, die im Arbeitsalltag entstehen: einerseits die Freude an einem Änderungsauftrag, der die Schneidereien am Leben erhält, andererseits auch der Ärger, günstige und oft schlecht produzierte Massenprodukte abändern zu müssen. Schneidereien sind auf genau solche Aufträge angewiesen. Schlussendlich sind ihnen aber die Hände gebunden und sie haben selbst keinen Einfluss auf den Massenmarkt. Schneider*innen haben aufgrund dieser Ambivalenz das „arme“ Los gezogen. (Silvie Noemi Demont - Portfolio)

Edel bestickt, auffallend und kostbar präsentieren sich die wertvollen, alten Paramente. Vor allem von Frauen hergestellt, waren sie nur für bedeutende, männliche Träger vorgesehen. Inzwischen hat sich sowohl bei den kirchlichen, als auch bei den weltlichen Textilien ein Wandel vollzogen. Die neueren liturgischen Gewänder sind schlicht und grafisch gestaltet, und auch die Kleidung der heute Wichtigen und Mächtigen (meist Männer) ist unauffällig und farblich bedeckt. Die Kombination Mann, Macht und Auftritt prägt aber nach wie vor unsere Wahrnehmung, so im Icon «Kopf, Veston, Krawatte» (ergänzt mit Mikrofon und Stehpult) = Politik!
Früher waren die Paramente voller Symbole, die wir heute kaum mehr deuten können, sondern einfach als Verzierung wahrnehmen. Die alten Symbole wurden umgedeutet oder haben neuen Platz gemacht. Obwohl in unserer Zeit die sichtbare Symbolik von Macht einer geradezu penetranten Unauffälligkeit gewichen ist, verstehen wir den Bedeutungsanspruch des Trägers.
Wie kaum ein anderes Kleidungsstück steht der Herren-Veston – gepaart mit Krawatte – für Wichtigkeit, Politik und Macht. In der Arbeit „Dress Code“ werden die Symbole auf der Innenseite des Vestons angebracht – würde er getragen, wären die Symbole zwar versteckt, aber vorhanden. Die zeitaufwändige, ornamentale Stickarbeit schlägt den Bogen zu den historischen Paramenten und eröffnet das Spannungsfeld zwischen wertvoll und wertlos oder anders gelesen auch zwischen Schein und Sein.

Wenn die Zeit vorbeigeht, werden wir uns unserer Sterblichkeit bewusst, der Materialität der Welt, der Zeit in ihrer Gesamtheit. Das Geräusch der Uhr tickt jede Sekunde, jede Minute unseres Lebens, zeigt als ständiges Ärgernis das uralte System der Veränderung. Tick tack tick tack – manchmal steppen wir zu diesem Geräusch in einem leeren Raum, allein, ohne Musik, nur in diesem ohrenbetäubenden Klang.
Wir werden täglich mit Tausenden und Abertausenden von Bildern konfrontiert, und jedes manifestiert das Vergehen der Zeit – eine Menge leerer Pixel, Bild um Bild. Statt uns auf die Bedeutung der Bilder zu konzentrieren, nehmen wir sie als Mittel, das Vergehen der Zeit nicht zu spüren. Im Westen haben wir den Luxus, uns stets ablenken zu dürfen: beim Warten an der Bushaltestelle, in der Pause, beim Essen. Wir halten nicht mehr an und erfassen, was wir sehen. Wir wollen die Schnelligkeit der Welt unterbrechen. So geraten wir in einen Teufelskreis: Wir uns bewegen uns zwischen Bildern, obwohl wir stillstehen.
Um diesen Tisch herum muss man sich bewegen und den Moment auskosten, indem man innehält, verweilt und wahrnimmt, was vor Augen liegt: Emotionen, die das Bild weckt, auftauchende Erinnerungen. In diesen Elementen des Alltags finden wir uns wieder, stellen Verbindungen zu Momenten her, die wir vergessen hatten, die uns aber vielleicht in irgendeiner Weise verändert haben. Jeder ist für seinen eigenen Moment verantwortlich – und wir haben den Luxus, dies zu tun. (Instagram: @_violizzi)

Der Schal ist eine Stola, ein Halstuch. Er ist eine warme Umarmung und ein Prestige-Objekt. Der Schal trägt verschiedene Bedeutungen in sich. Er beinhaltet sowohl Alltag (Einfachheit), wie auch Luxus. Der Schal kann uns wärmen, schmücken, hervorheben, Würde verleihen …
Die Stola ist das liturgische Gewand verschiedener christlicher Konfessionen, das die priesterliche Autorität symbolisiert. Wir finden sie als Ergänzung und Erweiterung des Themas im Klostermuseum Muri. HERMES ist eine Luxusmarke, deren Schals Leute anziehen, die sich mit bestimmten Brands präsentieren und schmücken wollen. FLEUR zeigt ein aufwändiges Blumenmuster, KARO ein einfaches, alltägliches Design. Das Trio vereint Luxus und Askese, zeigt Gegensätze auf und die Vielfalt, in der wir leben.

Gold war und ist ein Luxus. Und so zieht sich auch der goldene Faden wie ein Leitmotiv durch die Textilgeschichte. Mit ihm wurden nicht nur imposante, goldschimmernde Muster eingewebt, er eignete sich auch für grossflächige Stickereien. Wie kaum ein anderer Faden spiegelt er Rang und Status und führt die gesellschaftliche und soziale Dimension von Textilien vor.
Askese erscheint als das Gegenteil: zurückgezogen und fern von allem. Dabei ist auch sie ein Luxus. Wer kann sich aus allem zurückziehen, auf sich selbst, für sich selbst? Wenige. Früher primär aus religiösen, heute aus spirituellen oder meditativen Gründen. Eine Bereicherung für Geist und Gemüt, etwas ganz Besonders, Heraushebendes, Aussergewöhnliches, Ungewöhnliches.
Sticken ist eine langsame Tätigkeit. Marion Strunk mag die Gelassenheit, die dabei entsteht, die Stille. Sie stickt in eine Fotografie hinein – hin und her. Der Faden sitzt im Bild, auf der Fotografie. So lange ihn die Künstlerin berührt, hat sie ihn in der Hand. Da ist etwas Sanftes, das ein Bild werden kann. Die Berührung ist wirklich. Berührt sein. Ist es aggressiv, in die Fotografie hinein zu sticken? Die Löcher sieht man nicht, aber das Handwerk – Hand und Werk spielen zusammen. (Home - Marion Strunk)

Ying Xus Arbeit bewegt sich in einem Zwischenraum, in dem Luxus und Askese aufeinandertreffen – zwei scheinbar gegensätzliche Konzepte, die, wenn sie miteinander verknüpft werden, tiefere Wahrheiten über das menschliche Dasein offenbaren. Durch die Akte des Nähens und Reparierens begegnet die Künstlerin den Dualitäten des Lebens: Bewahrung und Vergänglichkeit, Fürsorge und Hingabe, Überfluss und Einfachheit.
«69 Zentimeter» geht direkt auf den eigenen Körper ein. Ying Xu näht die Lebenslinien ihrer Hand mit rotem Faden nach. Dieser Akt ist eine Meditation über Schicksal, Identität und den menschlichen Wunsch, das Unkontrollierbare zu ordnen. Es ist zugleich ein Ausdruck von Kontrolle und ein Sich-Einlassen auf die Unausweichlichkeit des Lebens – eine asketische Geste der Reflexion. Der rote Faden – Sinnbild für Blut, Verbindung und Bestimmung – hinterlässt Spuren auf der Haut und verkörpert den Versuch, das Unfassbare zu reparieren. Hier zeigt sich der Luxus in der Langsamkeit der Handlung: die bewusste Investition von Zeit, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, um das Flüchtige sichtbar zu machen.
«Mendet Arnolfini hand» nimmt die Geste der Hand einer Frau aus Jan van Eycks ikonischem Gemälde auf, einem Werk, das seit jeher für Wohlstand, Stabilität und Vermächtnis steht. Durch die Intervention mit rotem Faden stört Ying Xu die scheinbare Perfektion der Vergangenheit, indem sie neue Lebenslinien einnäht und fragt, ob wir das Vorgegebene heilen, unsere Wahrheiten verändern oder unser Schicksal zurückerobern können. Dieses Werk wird zu einer philosophischen Untersuchung von Zeit, Beständigkeit und der Zerbrechlichkeit des trotz allem nach Bedeutung strebenden Menschen. In der Geste des Reparierens liegt die asketische Akzeptanz von Unvollkommenheit und gleichzeitig eine luxuriöse Wertschätzung für die Fürsorge, die im Akt der Heilung liegt. (xuying.ch)
Text: Künstlerinnen, Bearbeitung: Christine Läubli
Fotos: Künstlerinnen
Die Werke der beiden in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen des Klosters Eschenbach und jene der Kuratorinnen werden im nächsten Blog vorgestellt, und ein weiterer wird den Weg des Objekts von Katharina Bürgin beschreiben.
Infos:
Luxese – Textilkunst zwischen Luxus und Askese
1. Staffel (historisch referenzierend)
29. März bis 20. Juli 2025
Markstrasse 4
5630 Muri
Öffnungszeiten: Di – So 11 bis 16 Uhr, ab 1. April bis 17 Uhr
Rahmenprogramm: https://www.murikultur.ch/singisenforum
Die 2. Staffel (9. August – 2. November 2025) zeigt die Textilkunst als Ausdruck gesellschaftlicher Relevanz in Gegenwart und Zukunft, als Forschungsfeld und wichtigen Beitrag zum Diskurs um Ressourcenknappheit und Konsumverhalten.
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