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Tapta: Flexible Forms

La chute des nouds, 1971, Baumwolle, Wolle, Leinen, Sammlung von Maurice Verbaet (Detail)

Als die kleine Maria Wierusz-Kowalska einmal ihre Spielsachen in einen Kreis auslegte, tanzte sie darum herum und nannte sich selber singend «Tapta». Der Name blieb – ebenso das Interesse an Materialien, spielerischen Experimenten und Räumen.Tapta wurde 1926 in Polen geboren. Nachdem sie und ihr Mann 1944 am Warschauer Aufstand teilgenommen hatten, flüchteten beide nach Belgien. Tapta studierte Weberei an der Kunsthochschule «la Cambre» in Brüssel. 1950 zog das Paar nach Afrika, wo es bis 1960 lebte. Nach ihrer Rückkehr nach Belgien arbeitete Tapta künstlerisch und leitete als Professorin der Textilhochschule «Le Cambre» einen Workshop mit dem Titel «Flexible Forms». 1997 starb sie unerwartet. Zurzeit ist im Muzeum Susch im Unterengadin eine grosse Ausstellung mit ihren bisher eher unbekannten Arbeiten zu sehen.



Hintergrund: Balance Carrée, 1974, Wolle, Metallringe, 290 x 900 cm, Sammlung Belgische Nationalbank Vordergrund: Formes pour un espace souple, Ausstellungskopie 1974 / 2023, Baumwolle, Wolle, Metallringe, ca. 300 x 400 x 400 cm, Sammlung MHKA

Der erste Ausstellungsraum enthält neben einem kleineren Wandbehang zwei riesige Arbeiten. Die eine nimmt die ganze Breitwand ein und erinnert in seinen architektonischen Ausmassen an Tapisserien des Mittelalters. Die reduzierte, abstrakte Gestaltung ist allerdings klar im 20. Jahrhundert angesiedelt. Der Wandteppich besteht aus einem langen, verdrehten Band, das zwischen Stangen und Metallringen mäandriert. Er scheint sich von der Wand zu befreien. Die Installation davor bestimmt frei hängend den Raum. Sie ist wegen des fragilen Zustands des Originals nur als Replik ausgestellt, gibt aber einen guten Eindruck der ursprünglichen Arbeit. Man denkt angesichts der kunstvoll gewundenen Seile unwillkürlich an Afrika. Das Werk entstand 1974 für den Palais des Beaux Arts in Brüssel und war dort als Begegnungs- und Ruheort gedacht. Gerne würde man sich auf eines der runden Kissen setzen und die Stille geniessen!



Tissu Mural No. 2, 1967, Wolle, Leinen, verschiedene Materialien, 108 x 150 cm, Sammlung der Fédération Wallonie-Bruxelles

Tapta hielt sich schon bald nicht mehr an die Regeln der traditionellen Tapisserieweberei. Sie beliess die Kettfäden sichtbar und verliess sich bei der bildnerischen Gestaltung auf die Flexibilität der haptischen Materialien. Statt sich auf Wolle und Leinen zu beschränken, experimentierte sie auch mit Metall, Sisal und Haaren. Farben sind wichtig – sie werden moduliert, indem von den drei oder mehr Schussfäden immer mal wieder einer durch eine andere Farbe ersetzt wird. Eindrücklich ist ein kleinerer Wandbehang mit einer Art riesigem Auge. Metallstücke verleihen ihm einen reflektierenden Blick. Für einmal ist hier die Weberei von feinen Fäden und Drähten umgeben und wirkt fragil.



Petite Forme Végétale, 1972, Sisal, ca. 200 x 25 x 7cm, Sammlung Relinde Raeymaekers

Anfangs der 1970er Jahre entstand eine Serie dunkelbrauner, pflanzenartiger Objekte. Es sind gewebte Stücke, welche Tapta zusammennähte und manchmal mit geknoteten Seilen kombinierte. Während diese Arbeiten für den Innenraum gedacht waren, schuf die Künstlerin bald darauf auch solche für draussen, die sie an Bäume knüpfte, und mit denen die Kinder spielen durften.













Cocon No 1 et Tapis spirale, 1973, Baumwolle, Sisal, Teppich: Baumwolle oder Hanf, 170 x 100 x 50 cm, Kunstsammlung Belfius

In den beiden nächsten Räumen hängen weisse Kokons von der Decke. Es sind Objekte aus runden, kunstvoll ineinander gefalteten Flächen. Innen und aussen wechseln sich ab, Faltungen, Einbuchtungen und Lücken lassen viele Interpretationen und Assoziationen offen. Die runden Teppiche darunter erzählen von der kreisförmigen Ausgangsform und geben den Skulpturen einen Boden.













Ohne Titel, 1976, Wolle Sisal, 300 x 250 cm, Privatsammlung Kortrijk

Eine grosse, rote Tapisserie nimmt allein für sich den ganzen Raum ein. Sie besteht aus vertikalen, gewebten Wollstreifen, die verdreht und mäandrierend auf eine feste Unterschicht montiert sind. Alles mündet in die zu einer Art Kreis gefalteten Mitte. Indem Tapta jegliche Transparenz vermeidet, erzielt sie eine warme, dichte Optik. Die roten Farbmischungen ergeben ein loderndes Feuerwerk und nehmen einen gefangen.




Sculpture à géometrie variable, 1994, Neopren und Metallscharniere, 68 x 68 x 5cm, Sammlung Maurice Verbaet

Während ihrer Textilkunstphase erkundete Tapta mit weichen, flexiblen und biegsamen Formen den Raum. In ihren späten Künstlerinnenjahren löste sie sich von den Fäden und Fasern und widmete sich einem starren Material. Die Objekte scheinen aus Ebenholz gemacht zu sein, bestehen aber aus industriell gefertigtem Neopren. Scharniere machen sie veränderbar. Man denkt an Papierschnitte, Möbelfragmente oder kleine Tiere, die spielerisch auf dem Boden oder über eine Metallbank kriechen. Wie auch alle anderen Werke Taptas laden sie das Publikum ein, im Raum umherzugehen und selber ein wenig zu mäandrieren.







Magdalena Abakanovicz: Flock I, 1990, Museum Susch

Tapta war Teil einer Avant-Garde. Obwohl ihr die internationale Anerkennung versagt blieb, half sie dabei mit, der Textilkunst eine neue Stellung zu verleihen. Ihre Arbeiten beeindrucken durch ihre Monumentalität, Materialität und Experimentierfreudigkeit. In den unteren Räumen des Museums finden sich zwei Werke aus derselben Künstlerinnen-Generation. Sie wirken auf mich zeitloser als jene von Tapta. Magdalena Abakanovicz, ebenfalls Polin, schuf im Jahr 1990 die eindringliche Arbeit «Flock I». Die Installation «Herrenzimmer» (1977 – 79) von Heidi Bucher ist die Häutung des Inneren eines Zimmers in ihrem Elternhaus. Beide Werke sind permanent im Muzeum Susch ausgestellt und beeindrucken bei jedem Besuch aufs Neue.



Text und Bilder: Christine Läubli


Informationen

Tapta: Flexible Forms

Muzeum Susch

Sur Punt 787542 Susch

Die Ausstellung dauert bis zum 3. November 2024

.Öffnungszeiten: Mi bis So 11 – 17 Uhr

Zur Ausstellung erschien ein Katalog.

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